Mit Trillerpfeife gegen Verdrängung
Wie eine Mieterin ihr Zuhause verteidigte
Mieter in Hamburg-Dulsberg stoppten eine Wohnungsumwandlung: Renate Sparrs Erfolgsgeschichte über Protest, Zusammenhalt und den Mieterverein.
„Stoppt die Umwandlung“
Die silberne Trillerpfeife hat Renate Sparr immer noch. Sie erinnert die 81-Jährige an die Zeit, als sie und ihre Nachbarn in Dulsberg Angst haben mussten, ihre Wohnungen zu verlieren. Anfang der 1990er-Jahre überraschte der Bau-Verein zu Hamburg die Mieter mit der Nachricht, dass die Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt und verkauft würden. „Wir bekamen alle einen großen Schreck“, sagt Sparr. Dass die Verwaltungsgesellschaft den Mietern ihre Wohnung zum Kauf anbot, trug nichts zu deren Beruhigung bei. Vor allem die langjährigen älteren Hausbewohner konnten sich das nicht leisten. Sie saßen schon auf gepackten Koffern, erinnert sich Sparr. „Damals hat uns dann der Mieterverein zu Hamburg sehr geholfen. Wir bekamen Tipps und Plakate, auf denen ,Stoppt die Umwandlung‘ stand. Wir klebten sie an die Haustüren und störten die Besichtigungen mit Luftballons, Trillerpfeifen und Konfetti“, sagt Sparr. Der Bau-Verein zu Hamburg beschwerte sich über die „freche Mieterin. Aber der Mieterverein hat gesagt, dass ich das darf“.
Renate Sparr ist Finanzbuchhalterin, Ombudsfrau in einem Pflegeheim und für weitere vier Jahre gewähltes Vorstandsmitglied in einem Sportverein mit mehr als 2.000 Mitgliedern. „Ich machte beim VfL 93 Wirbelsäulengymnastik und turne mit 40-Jährigen“, sagt sie. In Dulsberg ist sie ehrenamtlich im Stadtteilrat engagiert. „Hier kennen mich alle. Ich fühle mich sehr wohl im Stadtteil.“ Wenn sie zum Einkaufen in Richtung Straßburger Platz unterwegs ist, spricht sie vom „Dorf“. Aus ihrer hellen Wohnung mit Balkon möchte sie auf keinen Fall wegziehen.
Die Engagierte erinnert sich noch gut daran, wie sie vor mehr als 30 Jahren mit ihren Nachbarn in einer benachbarten Kita auf kleinen Stühlen saßen und beratschlagten, was sie gegen den scheinbar übermächtigen Vermieter ausrichten könnten. „Was haben wir hier bloß angestellt?“, sagt sie und lacht. Sich zu wehren, lohne sich immer, hat Sparr aus dieser Zeit gelernt. Der Kampfgeist der Dulsberger führte schließlich dazu, dass der Vermieter einlenkte. Den Mietern darf nicht mehr wegen Eigenbedarf und aus wirtschaftlichen Gründen gekündigt werden. „Wir erhielten lebenslanges Wohnrecht. Alle Mieter, die es so wollten, bekamen den entsprechenden Zusatz in den Mietvertrag.“ Eine Nachbarin, sie ist mittlerweile weit über 90, sprach Sparr vor einiger Zeit an. „Sie bedankte sich für meine ,Taten‘ und die meines Mannes sowie der übrigen Mitstreiter, dass sie mit diesem Zusatz im Mietvertrag hier wohnen bleiben kann. Sie sagte: ,Ein Glück, dass Sie das damals gemacht haben.‘ Das hat mich sehr gefreut.“, sagt Sparr.
Mittlerweile wurde Renate Sparrs 52 Quadratmeter große Wohnung in dem Klinkerbau im Hinterhof bereits zweimal weiterverkauft. Der erste Eigentümer habe sich mit dem Kauf finanziell übernommen. Er wollte die Wohnung für seinen Sohn haben und fiel aus allen Wolken, als er erfuhr, dass das nicht ging. Später habe er Privatinsolvenz anmelden müssen, so Sparr. „Jetzt habe ich mehr Glück. Mit dem jetzigen Eigentümer der Wohnung verstehe ich mich gut. Er will hier nicht einziehen und mich hier wohnen lassen.“
Beim Kleben der Plakate half ihr späterer Ehemann, der 2016 verstorben ist. „Ich hatte ihn überredet zu helfen, obwohl er hier nicht wohnte. Er sagte ganz einfach: Heirate mich! Das haben wir dann auch getan und waren hier sehr glücklich.“ Ihr Mann habe vor seinem Tod immer wieder zu ihr gesagt: „Bleib‘ im Mieterverein, wer weiß was noch kommt!“
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